LU-Diskussionsrunde „Was kommt nach der Milchquote?“

Die Milchquote fällt weg. Endlich, sagen viele Landwirte. Aber welche Konsequenzen hat das für die Betriebe – und damit auch für Lohnunternehmer? Wir haben beide Seiten und Fachberater zu einer Diskussion eingeladen. Die lebhafte Gesprächsrunde brachte teils überraschende Ergebnisse.

LOHNUNTERNEHMEN (LU): Herr Meyer, der Milchauszahlungspreis ist – über alle Molkereien hinweg – im Jahr 2014 um mehr als 10 ct/l gefallen, mit sinkender Tendenz. Hält dieser Trend auch 2015 an?
Tebbe Meyer: Dazu exakte Prognosen abzugeben, ist schlichtweg nicht möglich, denn der Milchpreis hängt letztlich von sehr vielen Faktoren ab. Der Markt ist viel komplexer, als man es gemeinhin glaubt. Und dabei spielt nicht nur das Verhältnis von Angebot und Nachfrage hier in Deutschland eine Rolle.  Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen. 2013 war, global betrachtet, die Nachfrage im ersten Halbjahr deutlich größer als das Angebot. Das entlastete den Markt und stützte den Preis. In Deutschland stieg die Produktion jedoch erheblich, bei gleichzeitig steigenden Milchpreisen, weil der Export gut lief.
2014 war dagegen von Anfang an weltweit von größerer Produktion geprägt. Der Preisdruck kam aber in Europa nicht voll an, weil dank der hiesigen, hervorragenden Produktqualität die Chinesen in der EU noch in großem Umfang Milchpulver einkauften. Das änderte sich im Sommer, außerdem fiel wegen des EU-Embargos der russische Markt als weltweit zweitgrößter Importeur von Milchprodukten aus.
Dr. Albert Hortmann-Scholten: Diese Situation hat dann der Lebensmitteleinzelhandel umgehend knallhart genutzt, das Preisniveau deutlich zu drücken, allein schon in der Erwartung eines Angebotsüberhangs. Denn dort weiß man auch, dass die Landwirtschaft und letztlich auch die Molkereien erpressbar sind. Ein Autohersteller kann seine Produktion einstellen, wenn der Markt einbricht, aber der Landwirt kann die Kühe nicht einfach so auf Null stellen.

 

Meyer: Und das, obwohl in der EU insgesamt die Milchquoten nach derzeitigem Kenntnisstand gar nicht ausgeschöpft wurden, sondern nur in Ländern wie etwa den Großbritannien, Frankreich und Deutschland erheblich mehr produziert wurde.
Aber um die Eingangsfrage doch etwas präziser zu beantworten: Ein Maßstab können dazu die Ergebnisse des ifo-Instituts sein, das auf Basis monatlicher Zahlen von Referenzmolkereien die Milchverwertung, also die Wertschöpfung, berechnet. Dieser Wert war Ende 2014 bei etwa 25 ct/l Milch angekommen. Ob oder wie lange es dabei bleibt, ist aber nicht absehbar. Allerdings befürchte ich, dass nach zwei guten Jahren 2015 für die deutschen Milchviehhalter ein schweres Jahr wird.
LU Enno Brunken: Ich möchte noch einmal den von Ihnen schon erwähnten Autoproduzenten aufgreifen, um einen anderen Aspekt anzusprechen: Die Industrie gibt erhebliche Summen für Werbung aus, um den Absatz ihrer Produkte anzukurbeln. Das gilt besonders in konjunkturell schwierigen Phasen. Davon sehe ich in der Land- und Ernährungswirtschaft aber nichts Vergleichbares. Hier müsste doch auch mehr getan werden!?
Meyer: Das gilt nur sehr bedingt. Der deutsche Markt gilt als gesättigt, ebenso wie der westeuropäische. Hier würde zusätzliche Werbung keinen signifikanten Mehrverbrauch erzeugen. Das entlastet den Markt also nicht. Wichtig ist es vielmehr, die großen Importregionen, wie zum Beispiel Südamerika oder Asien, stärker zu stimulieren.
Dr. Hortmann-Scholten: Und das am besten in Kombination mit Exportförderung, denn nur so lässt sich der Markt wieder in ein Gleichgewicht bringen. Klar ist: die Produktion in Europa wird bis 2020 weiter steigen, sicher um 10 bis 15 %, in einigen Ländern sogar stärker. Der Bedarf der wachsenden Weltbevölkerung steigt zwar auch, trotzdem wird es immer zu Phasen eines Überangebots kommen. Deshalb muss die Landwirtschaft sich an die stärkere Schwankungsbreite der Preise gewöhnen und sich darauf einstellen.
 

Meyer: Das nützt aber speziell im letzten Quotenjahr 2014/2015 wenig. Denn das wird nicht nur wegen der Preisentwicklung für die Landwirte sehr schwer. 2014 war ein gutes Wirtschaftsjahr, sodass einerseits das Thema Steuern ansteht und andererseits die Superabgabe, zumindest in den Betrieben, die überliefert haben. Deshalb halte ich es für sinnvoll, seitens der Politik bei Härtefällen helfend einzugreifen, etwa durch eine Stundung, um existenzbedrohende Situationen zu vermeiden.
Klausjan Meinen: Davon halte ich gar nichts. Es kann nicht sein, dass derjenige belohnt wird, der erheblich übers Ziel hinausschießt. Wir selbst standen 2012 auch vor der Frage: Produktion drosseln oder zusätzliche Quote kaufen? Wir haben uns für letzteres entschieden und werden jetzt im Rahmen dessen bleiben. Diese Möglichkeit hatte jeder, und wer jetzt seine Quote so viel überliefert hat, muss mit den Folgen leben.
LU Andrea van Eijden: Das gleiche gilt auch für Landwirte, die erheblich in neue Ställe und größere Tierbestände investiert haben und jetzt mit hohen finanziellen Belastungen konfrontiert sind, die teilweise sogar ihre Liquidität ernsthaft gefährden. So sind ursprünglich gesunde Betriebe in Schieflage geraten. Da wäre es sicher besser gewesen, Produktionswachstum erst einmal durch mehr Effizienz und Qualität zu erreichen, statt massiv aufzustocken. Hier sind die Landwirte auch nicht immer optimal beraten worden.
Jan-Gerd Oltmanns: Beratung hin oder her: Entscheiden muss der Betriebsleiter selbst, dafür ist jeder selbst verantwortlich.
Dr. Hortmann-Scholten: Leider zeigt sich, dass in Einzelfällen das Wachstum zum falschen Zeitpunkt und in zu großen Schritten erfolgt ist. Wir werden in Zukunft mit so massiven Schwankungen des Milchpreises rechnen müssen, die wir bisher so nicht kannten. So mancher Landwirt hat sich offensichtlich noch nicht realisiert, was das wirklich bedeutet. Deshalb werden wir auch in der Milchviehhaltung künftig echte Pleiten erleben, wie sie zum Beispiel die Schweinemäster leider schon längst kennen.
Hendrik Lübben: Und diese Betriebe sind dann auch nicht mehr so gut zu vermarkten, wie es in der Vergangenheit vielleicht der Fall war. Bisher fand sich immer ein Käufer, sodass die Familien wenigstens finanziell abgesichert waren. Aber das muss nicht so bleiben. Wenn der Milchpreis nachhaltig tief bleibt, stehen der Branche ganz massive Veränderungen bevor. Und dann kann man wohl sagen, dass dies unternehmerisches Risiko sei und eben auch schlechter wirtschaftende Landwirte aufhören müssen, um Platz für das Wachstum anderer zu machen. Aber der Druck der finanziellen Belastungen, sei es durch Fremdkapital oder Betriebsmittel, hört dadurch ja nicht auf.


LU: Wo sehen Sie beim Milchpreis eine Schwelle, unterhalb der es für die Bauern kritisch wird, also quasi den „Break-Even-Point“ der Milchproduktion?
Lübben: Ich werde hierzu sicher keine verbindliche Zahl sagen, denn das führt im Zweifelsfall nur zu Missverständnissen. Außerdem ist nicht nur die absolute Höhe des Milchpreises relevant, sondern viele andere Faktoren, wie die Dauer einer solchen Tiefpreisphase, die finanziellen Reserven der Betriebe und natürlich die jeweiligen Produktionskosten. Allgemeiner formuliert, würde ich aber schätzen, dass bei einer längeren Phase mit einem Milchpreis deutlich unter 30 ct/l etwa 80 % der Betriebe damit nicht gut klarkommen.
Dr. Hortmann-Scholten: Hierzu lassen sich bestenfalls Spannen nennen, die sich natürlich aufgrund der jährlich schwankenden Kosten von Jahr zu Jahr verändern. Die Kostenführer in der Milchproduktion werden zurzeit mit 26-27 ct/l auskommen, aber für Betriebe, die strukturell abgehängt sind, reichen auch die Spitzenpreise von 45-48 ct nicht aus. Dazu noch ein Beispiel: Vor zehn Jahren lag der durchschnittliche Milchpreis bei etwa 32 ct/l, und nach Abzug der direktkostenfreien Leistungen bleiben etwa 17 ct übrig. 2013 war der Milchpreis rund 10 ct höher, aber trotzdem waren nur 14 ct übrig, weil allein schon die direktkostenfreien Leistungen deutlich höher waren. Maßgeblich für den Erfolg sind also nicht nur die Erlöse, sondern ebenso die Kostenentwicklung. Ich bin überzeugt davon, dass die Margen bei Milch künftig sinken werden und die Landwirte ein gewisses Mengenwachstum realisieren müssen, allein schon, um ihr Einkommen stabil zu halten.

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Das Gespräch führten Hans-Günter Dörpmund und Jens Noordhof,
Redaktion LOHNUNTERNEHMEN

Die vollständige Diskussion sowie eine kurze Übersicht über die Teilnehmer wurde in der Februar Ausgabe veröffentlicht.