Es geht um Millionen!
Es erinnert durchaus an einen Albtraum: Ein Auto fährt schnurgerade und ungebremst auf ein Hindernis zu – als Beobachter möchte man den Fahrer warnen, schreien, winken, irgendwie dazu beitragen, den absehbaren Aufprall noch zu verhindern … doch es nützt nichts, es kracht. Dieses leider im Straßenverkehr immer wieder zu beobachtende Szenario gilt jedoch auch im übertragenen Sinne für das Thema Biogas. Es besteht zurzeit die sehr reale Gefahr, dass von den gut 9.000 deutschen Biogasanlagen in relativ kurzer Zeit etwa ein Drittel aufhören muss, weil aufgrund der derzeitigen politischen Rahmenbedingungen ein wirtschaftlicher Weiterbetrieb unmöglich ist.
So jedenfalls schätzt es Horst Seide, Präsident des Fachverbandes Biogas, ein. Und das, obwohl Biogas aus Expertensicht unbestritten ein wertvoller und maßgeblicher Bestandteil des Energiemixes ist: grundlastfähig, bedarfsgerecht zu steuern, unabhängig von Wind und Sonne – vor allem aber sehr wertschöpfend für den ländlichen Raum. Die von vielen Menschen gern gescholtene EU hat dies jedenfalls erkannt und im Rahmen ihres Programms RePowerEU u.a. klare Ziele festgelegt, welche Mengen Biomethan verbindlich bis 2035 zu produzieren sind.
Nur die Bundesregierung fährt den gegensätzlichen Kurs und riskiert bewusst das „an die Wand fahren“ vieler Biogasanlagen. Dumm nur, wenn in einigen Jahren die Brüsseler Vorgaben dazu führen, dass wieder mit wertvollen Steuergeldern neue Anlagen aus dem Boden gestampft werden müssen, um eine EU-Klage zu vermeiden. Ein Erhalten oder gar Ausbau der aktuellen Struktur wäre mit vergleichsweise wenig finanziellem Aufwand und ohne weitere „Vermaisung“ sehr gut machbar. Ein wichtiges Signal könnten größere Stromkontingente in einer Übergangszeit sein, bis die geplanten Anlagen zur Biomethanaufbereitung und -einspeisung installiert sind. Billiger als die milliardenschwere Bezuschussung fossiler Gaskraftwerke, wie sie derzeit geplant ist, wäre das allemal.
Diese und viele weitere spannende Aspekte rund um das Thema Biogas schildert Horst Seide im Interview, das wir in der LOHNUNTERNEHMEN-Augustausgabe veröffentlicht haben und dessen Lektüre ich Ihnen sehr empfehlen möchte. Falls Sie es noch nicht lesen konnten, wäre hier dazu Gelegenheit. Denn machen wir uns nichts vor: Das Thema Biogas betrifft sehr viele von uns. Beispiel Lohnunternehmen: Horst Seide schätzt, dass allein durch den Wegfall besagter 3.000 Anlagen pro Jahr rund 23 Mio. t weniger Substrate zu den Anlagen und eine ähnliche Menge Gärreste auf Äcker und Grünland zu fahren wären. Macht in Summe 46 Mio. t – und wer erntet bzw. transportiert die?
Diese absehbare Entwicklung – Stichwort Auto rollt rasant auf Wand zu – wäre ein Desaster für die Dienstleister, doch ebenso für Landtechnikhersteller und -händler. Denn was eine derartige Entwicklung für den Maschinenmarkt sowie den Service bedeuten, kann sich jeder selbst an fünf Fingern abzählen. Und das betrifft nicht allein den Häckslermarkt.
Es ist also höchste Zeit, für das Thema Biogas zu kämpfen! Das kann jeder für sich tun – vielleicht auch Sie? Wie wäre es zum Beispiel, wenn Sie an die Landtags- und Bundestagsabgeordneten Ihres Wahlkreises oder/und Ihrer Lokalzeitung besagtes Interview schicken (die Datei können Sie hier downloaden) und damit ein freundliches Gesprächsangebot verbinden? Dazu könnten sich lokale Lohnunternehmer und Biogasanlagenbetreiber auch zusammentun. Von der Basis her mit Sachinformationen zu sensibilisieren, auf Unwissenheit beruhende Vorurteile abzubauen und die politische Meinungsbildung quasi aus der Wahlkreisebene in die Parlamentsarbeit zu tragen, scheint angesichts der dogmatischen Realitäten in den zuständigen Bundesministerien einer der wenigen Wege, etwas zum Besseren zu bewegen. So versucht es derzeit auch der Fachverband Biogas mit sogenannten Biogas-Gipfeln in einzelnen Bundesländern, wie jüngst in Bayern (hier finden Sie weitere Informationen dazu).
Mindestens so wichtig und wünschenswert wäre meines Erachtens allerdings auch, wenn sich zu diesem Thema endlich sichtbar und konzertiert die relevanten Verbände der Landwirte, Lohnunternehmer, Biogasanlagenbetreiber, Landtechnikhändler und -hersteller gemeinsam formieren und positionieren würden. Jeder für sich allein dürfte – leider –nur wenig erreichen. Das scheint mir jedoch wichtig, denn beim Thema Biogas ist es „fünf vor Zwölf“.
Jens Noordhof,
Redaktion LOHNUNTERNEHMEN