Triple-Wumms in die Magengrube
Das Bild der schätzungsweise 1.500 Traktoren vor dem Brandenburger Tor und auf der Straße des 17. Juni war schon sehr beeindruckend. Unter dem Motto „Zu viel ist zu viel! Jetzt ist Schluss!“ kamen Protestierende aus ganz Deutschland am vergangenen Montag nach Berlin, um gegen die massiven Kürzungspläne der Bundesregierung im Sektor Landwirtschaft zu kürzen. Die Schätzungen zur Teilnehmerzahl dieser Montagsdemo schwanken zwischen 6.000 und 8.000. Manche Quellen sprechen auch von 10.000. Bezieht man in die Bewertung jedoch auch die Zahl der protestierenden Landwirte hinzu, die seit Bekanntwerden der Beschlüsse quer durch Deutschland mit ihren Traktoren zur „Verkehrsentschleunigung“ beigetragen haben, zeigt sich das ganze Ausmaß der Empörung und – so muss man es unumwunden sagen – in vielen Fällen auch Verzweiflung. Das Ausmaß der finanziellen Belastungen durch politische Beschlüsse der vergangenen zehn Jahre bringt für die Landwirte das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen.
Allein die beiden genannten Kürzungen würden die Landwirtschaft unmittelbar fast 1 Mrd. € kosten. Damit ist allerdings nur ein Teil der Belastungen beziffert. Die Anhebung der CO2-Besteuerung um 50 % wird den Literpreis von Diesel um etwa 5 ct verteuern. Allein für die Bewirtschaftung der rund 11,6 Mio. ha Ackerland in Deutschland bei einem angenommenen Dieselverbrauch von 80 l/ha schlagen dadurch weitere 46,4 Mio. € Mehrkosten zu Buche. Und die Liste der indirekten Mehrkosten im Zuge der CO2-Besteuerung ist lang. In Summe dürfte der Sektor Landwirtschaft damit vermutlich eher bei 1,5 Mrd. als bei 900 Mio. € Zusatzkosten liegen. Und damit in weit überproportionalen Maß dazu beitragen müssen, die Folgen einer – wissentlich – unseriösen Haushaltsplanung des Bundeshaushalts auszugleichen. Also nicht nur ein doppelter Schlag (Agrardiesel und Kfz-Steuer) in die Magengrube der Landwirte, sondern ein dreifacher – sozusagen ein Triple-Wumms, um es mit einer der leidigen Politikerphrasen zu benennen.
Auch Lohnunternehmer betroffen
Dies betrifft jedoch nicht nur die Landwirte selbst, sondern ebenso die angrenzenden Branchen, also auch die Lohnunternehmer. So fanden sich am Montag in Berlin und finden sich in den Reihen der weiterhin Protestierenden in ganz Deutschland zahlreiche landwirtschaftliche Dienstleister, die sich zu Recht Sorgen um ihre künftige Auftragslage machen. Zum Vergleich: Nach Einschätzung des Bundesverbandes Lohnunternehmen (BLU) liegt der jährliche Umsatz der deutschen Lohnunternehmen bei etwa 3 Mrd. €. Nun bedeutet dies nicht, dass die Landwirtschaft besagte 1 Mrd. ausschließlich bei Dienstleistungen kürzen wird. Aber die Folgen dürften deutlich spürbar sein.
Dies machte auch BLU-Präsident Klaus Pentzlin unmissverständlich deutlich, der im Rahmen der Demo zu den Rednern gehörte. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft werde durch die vorgeschlagenen Maßnahmen erneut angeheizt. Als Folge dessen rechne er damit, dass viele Landwirte versuchen, die Einbußen durch Mehrarbeit zu kompensieren, was wiederum schlecht für die Dienstleister sei. „Die abnehmende Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe wird unweigerlich zum Rückgang der Nachfrage landwirtschaftlicher Dienstleistungen führen. Kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe werden vermehrt aussteigen und ihren Kindern empfehlen, etwas anderes zu machen“, so seine Befürchtung. Und in Richtung Politik stellte er die – leider rhetorische – Frage: „Während der Corona-Pandemie galt die Landwirtschaft inklusive der vor- und nachgelagerten Bereiche noch als systemrelevant – was ist daraus geworden?“
In seiner Rede sprach der BLU-Präsident außerdem die Wettbewerbsverzerrung der im europäischen Vergleich jetzt schon sehr hohen deutschen Steuern auf Kraftstoffe und Energie an. Es gebe triftige Gründe, Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung fortzuführen, um der Agrarproduktion im Inland überhaupt eine halbwegs realistische Perspektive zu geben. Andernfalls werde ein deutlich größerer Anteil Nahrungsmittel importiert, was alles andere als umweltfreundlich sei. „Heute haben wir uns zum x-ten Mal versammelt, um gegen die Streichung von Agrardieselrückvergütung und die Einführung der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Zugmaschinen und Geräte zu demonstrieren. Wo müssen wir der Regierung Nachhilfe geben, dass das nicht geht? Was verstehen diese Leute davon nicht? Es ging nicht in der Vergangenheit, und es geht auch nicht heute.“
Neben der Frage der Wettbewerbsfähigkeit stehe jedoch ein weiterer wichtiger Aspekt im Raum: die Gemeinwohl- und Ökosystemleistungen im ländlichen Raum. „Wer soll diese immensen Leistungen unserer Branche erbringen? Mit Sicherheit nicht die öffentliche Hand! Und auch die nicht, die alles fordern, aber an einer Rundholzallergie gegen Schaufelstiele leiden und ohnehin nicht mit anpacken“, rief er den Anwesenden zu.
Nicht am Brandenburger Tor, aber im Nachgang der Veranstaltung wies Klaus Pentzlin zudem auf eine weitere, sehr gesellschaftsrelevante Leistung der Landwirte und Lohnunternehmer hin: die Maßnahmen gegen den Klimawandel. „Die Landwirtschaft ist die einzige Branche, die reell die ihr gesteckten Klimaziele erreicht hat bzw. erreichen wird. Auch dafür sind die jetzt beschlossenen Steuererhöhungen ein nettes Dankeschön.“ Stattdessen solle intensiv über wirksamen Bürokratieabbau nachgedacht werden. Das könne gewaltige Summen der Einsparung ergeben.
Das offizielle Statement des BLU zu den geplanten Steuererhöhungen der Bundesregierung können Sie hier finden.
Kuhhandel als Politikersatz
Dass die Proteste der Landwirte und Lohnunternehmer mittlerweile erste Wirkungen zeigen, war nicht nur an den diversen offiziellen Pressemitteilungen und Solidaritätsbekundungen aus den Reihen der Landwirtschaft nahestehender Verbände erkennbar. Auch die Politik selbst ruderte fraktionsübergreifend in Teilen unmittelbar vor und nach der Berlin-Demo schon erkennbar zurück – oder tat zumindest so. Ob und welche Alternativen zu den Agrar-Steuererhöhungen jetzt noch ernsthaft erwogen werden, stand zum Redaktionsschluss dieses Newsletters noch nicht fest.
Der selbst verschuldete finanzielle Notstand der Bundesregierung lässt allerdings wenig Spielraum dazu. Zumal sicher die Tatsache der überdurchschnittlich guten Gewinne des landwirtschaftlichen Buchführungsjahres 2022 die Überzeugung der Politik genährt hat, dass die angekündigten Steuererhöhungen jetzt finanziell tragbar seien. Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigt: Die Ignoranz der scheinbaren Annahme, dass Landwirte wie jeder Handwerker oder Industriebetrieb einfach nur die Preise anheben müssten, um steigende Kosten weiterzureichen- was angesichts der monopolartigen Abnehmerstruktur der Lebensmittelketten mindestens blauäugig ist. Oder dass vor allem diejenige Kuh gemolken werden soll, die dem Fiskus am wenigsten entkommen kann und als Wahlvolkklientel klein genug ist. Oder ein Landwirtschaftsminister, der von den Kürzungsvorhaben im Bereich Agrar vorher nichts gewusst haben will. Oder das Trio aus Bundeskanzler, Wirtschafts- und Finanzminister, welches das Kürzungspaket angeblich im Alleingang beschlossen hat, um selbst regierungsintern erst gar keine Diskussionen aufkommen zu lassen. Basta-Politik hat schon vor 20 Jahren nicht funktioniert und wird es auch in Zukunft nicht.
Im Gespräch war kurz vor Redaktionsschluss die Rücknahme der Beschlüsse für Betriebe unter 80 ha. Aber vielleicht wird einer der beiden Hauptaufreger als Geste der Beschwichtigung wieder zurückgenommen, z.B. die Kfz-Steuererhöhung. Dann bliebe der Wegfall des Agrardiesels – und die Politik hätte erreicht, was sie seit langem anstrebt, auch vor der „Ampel“ schon. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Oder an Kuhhandel als Ersatz für sachorientierte Politik.
Jens Noordhof, Redaktion LOHNUNTERNEHMEN